Aus Notlage zur Konstante

Gemeinschaftseigentum, Selbstorganisation und Selbsthilfe. Die Idee der Genossenschaften in Wien ist bereits 100 Jahre alt. Ist sie aber heute aktueller denn je? Eine historische Spurensuche.
— LINDA PEZZEI

Neu ist die Idee der Baugruppen zum Teil ja, auch wenn sich die Anforderungen und Lebenssituationen der Partizipanten in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gewandelt haben. Service, Leistbarkeit und individuelle Wohnwünsche sind die neuen Antriebsfedern des gemeinschaftlichen Bauens, das sich auch in dem Modell der Baugruppe widerspiegelt.

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Wie bereits Klaus Novy (zit. nach Genossenschaftsforum e.V. Berlin) konstatierte: „Die genossenschaftliche Form ist keine Konstante, kein feststehendes Modell, sondern gelebte Form und muss immer wieder angepasst und erneuert werden.“ So durfte – und musste – sich die historische Idee der (Wohn-)Genossenschaft als dritter Weg zwischen Eigentum und Miete im Laufe des vergangenen Jahrhunderts ordentlich strecken und dehnen. Was diese Evolution vermutlich überhaupt erst ermöglichte, sind die Menschen und deren Engagement im Sinne der genossenschaftlichen Selbsthilfe. Man nahm die Sache selbst in die Hand: Der Ursprung geht auf die 1920er-Jahre zurück, als die Siedlerbewegung der damals herrschenden Wohnungsnot durch Eigeninitiative begegnen wollte.

Im Sinne der demokratischen Teilhabe aller Mitglieder geht es den (Wohn-) Genossenschaften damals wie heute nicht nur um die Planung, Finanzierung und Umsetzung von Bauprojekten, sondern um die langfristige Nutzung und ein Recht zur Mitbestimmung aller. Die einmalige Besonderheit hierbei liegt auch in der ganzheitlichen Verknüpfung von baulichen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekten, welche die gleichzeitige (Mit-)Eigentümerschaft der jeweiligen Wohn- und Siedlungsgenossenschaft und Miete der eigenen Wohnung oder des eigenen Hauses mit sich bringen.

Und das abseits von Staat oder Institutionen, wie auch Eva Bauer (Gemeinnütziger Wohnbau in Österreich, in: Kurswechsel 3/2006: 20–27) sagt: „Genossenschaftliches Wirtschaften (im Wohnbau) richtet sich nicht an anonyme Dritte, sondern bedeutet Selbsthilfe jenseits kapitalistischer Produktions-, Verteilungs- und Organisationsprinzipien, aber auch jenseits staatlicher Sozial- und Versorgungspolitik.“

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Neue Wohnformen

Was Anfang des 20. Jahrhunderts nach dem Ersten Weltkrieg aus einer sozialen Notlage heraus entstand, hat sich im Laufe der vergangenen 100 Jahre zu einer echten Konstante am Wiener Wohnungsmarkt entwickelt. Ganz Österreich zählt noch heute 98 Wohngenossenschaften mit mehr als 520.000 Mitgliedern (Stand Ende 2019). Im Verhältnis zur Einwohnerzahl des Landes ist das mehr als das Doppelte gegenüber der Schweiz und ein Drittel mehr als in Deutschland. Dazu kommen die gemeinnützigen Bauträger in Form von Aktiengesellschaften, deren historische Wurzeln auf die Werkssiedlungen zurückgehen.

Bau- und Wohngruppen, Öko- Siedlungen, Kollektivhäuser, kleine selbstnutzende Wohn- oder Quartiersgenossenschaften – auch für die Genossenschaften führt heute kein Weg an Innovationen und dem Beschreiten neuer Wege vorbei. Die Wiener Wohnprojektegenossenschaft „Die WoGen“ z. B. steht für die neue „GrätzlGenossenschaft“und propagiert neben Aspekten des günstigen Wohnens auch soziale Kontakte, das Teilen von Ressourcen und eine insgesamt gemeinschaftlichere Lebensweise.

Wie eine moderne Kommunikationsplattform aussehen kann, zeigt außerdem das „Genossenschaftsforum e.V.“, ein Zusammenschluss von 49 Wohnungsgenossenschaften in Berlin und Umgebung unter Beteiligung von fördernden Institutionen und Initiativen. Ziel des Vereins ist es auch, eine Brücke zwischen Theorie und Praxis der Wohnungsgenossenschaften zu schlagen.

Der Traum vom Eigenheim

Insgeheim sehnen sich viele nach den „eigenen vier Wänden“ – doch Baugrund und -kosten sind und bleiben teuer und so lohnt sich mancherorts die Suche nach einem alternativen Weg raus aus der Miete. Neben dem Verknüpfen von solidarischen und individuellen Interessen stehen Baugruppenprojekte laut Angabe der NBBA (Netzwerk Berliner Baugruppen- Architekten) im Kosten-/Nutzenvergleich um bis zu 20 Prozent besser da als vergleichbare Bauträgerprojekte.

Allerdings tragen die in Baugemeinschaften zusammengeschlossenen Bauherren im Gegenzug auch das volle Bauherrenrisiko, was Kostenerhöhungen und Zeitverzug einschließt. Es lohnt sich also, sich einen erfahrenen Planungspartner in Form von Architekten, Projektsteuerern oder spezialisierten Büros wie wohnbund: consult an die Seite zu holen…

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