Freiraumgestaltung als sozialer Kompass

Freiräume sind heute mehr als nur grüne Kulisse – sie entwickeln sich zu dynamischen Sozialräumen, in denen lebendige Nachbarschaften entstehen. Landschaftsarchitekt:innen gestalten hier nicht nur funktionale, sondern auch soziale Netzwerke und entwerfen Begegnungszonen, die vielfältigen Ansprüchen gerecht werden.
— LINDA PEZZEI

„Wenn wir in der Landschaftsarchitektur von Freiraum sprechen, meinen wir nicht nur Grünflächen, sondern erweitern den Begriff um eine soziale Dimension“, erklärt Anna Detzlhofer, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Landschaftsarchitektur ÖGLA. „Bei der Freiraumgestaltung in Wohngebieten stehen nicht primär Pflanzen im Mittelpunkt, sondern die Schaffung von Begegnungszonen: Aufenthaltsbereiche, Gemeinschaftsgärten und Spielplätze müssen so angeordnet werden, dass Nutzungskonflikte vermieden und vielfältige Aktivitäten ermöglicht werden.“ Erst auf dieser Grundlage würden klimatische und atmosphärische Qualitäten definiert – hier komme der Bepflanzung entscheidende Bedeutung zu.

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Freiräume wie Parks könnten laut Detzlhofer bestehende Quartiere mit neuen Wohngebieten verbinden. Als Beispiel nennt sie das Projekt Neues Landgut: „Der Park wurde noch vor den Wohnbauten fertiggestellt und wird bereits intensiv von Anwohner:innen genutzt. Die spannungsvolle Inszenierung durch den Triangel aus Gösserhalle, Schule und Bücherei im Gemeindebau schafft Identität.“

Wie das konkret aussehen kann, zeigt das aktuelle Wiener Vorzeigeprojekt Rote Emma, das 360 geförderte Mietwohnungen sowie öffentliche Infrastruktur wie Kindergarten, Volkshochschule, Verbrauchermarkt und flexible Gemeinschaftsräume vereint. Die Landschaftsplanung von Carla Lo verbindet Aufenthaltsqualität, soziale Durchmischung und ökologische Verantwortung: Kernkonzepte sind die integrative Freiraumplanung sowie multifunktionale Übergänge wie begrünte Balkone, Dachgärten mit Urban Gardening und gestaltete „Schwellen“ (z. B. zwischen Gemeinschaftsraum und Spielplatz), welche informelle Begegnungen fördern sollen.

„Landschaftsarchitekt: innen sollten im Idealfall von Beginn an im Städtebau integriert sein, um Lage, Größe und Nutzung von Freiräumen klar zu definieren und ein ausgewogenes Netz aus privaten, halböffentlichen und öffentlichen Bereichen zu schaffen“, erklärt Carla Lo. „Multicodierte Freiräume in Form von Flächen, die je nach Tageszeit als Spiel-, Ruhe- oder Versickerungszonen dienen, helfen dabei, die soziale Identifikation im Stadtraum zu stärken.“ Das Gemeinschaftsprojekt von migra und BWS setzt auf weiche Übergänge zwischen Rückzug und Begegnung statt abgegrenzter Zonen.

Die BWS-Vorstände Kerstin Robausch-Löffelmann und Mathias Moser betonen: „Es entsteht ein lebendiges Grätzl mit leistbarem Wohnraum, sozialer Durchmischung und ökologischer Verantwortung.“ Und die migra-Geschäftsführer Smajo Pasalic und Alfred Petritz ergänzen: „Die Landschaftsgestaltung fungiert hier als aktivierende soziale Infrastruktur.“

Eric Meinharter von PlanSinn verfolgt einen
integrierten, partizipativen Ansatz.

Urban Gardening als Instrument

Wie groß das Potenzial von gemeinschaftlich nutzbaren Außenflächen tatsächlich ist, zeigt sich auch in der Biotope City in Wien-Favoriten. „Beim gesamten Projekt steht die Nachhaltigkeit im Mittelpunkt – von recyceltem Baumaterial über energiesparende Bauweise bis zu Urban Gardening“, erklärt Paul Steurer, Vorstand der Gesiba. „In zwei unserer Wohnhausanlagen konnten wir Gärten realisieren, die für ganz unterschiedliche Nutzer:innengruppen zugänglich sind. So gibt es Beete am Dachgeschoß, einen Garten im ersten Obergeschoß oder auch Hochbeete für körperlich beeinträchtigte Bewohner:innen.“

Eine weitere, bauteilübergreifende Gartenfläche steht sowohl Mieter:innen als auch Eigentümer: innen zur Verfügung. Begleitet wurde das Projekt zunächst von der Caritas-Stadtteilarbeit mit dem Ziel, Anreize für Dialog, Mitgestaltung und die aktive Aneignung des Wohnumfelds zu schaffen – mit großem Erfolg, wie Steurer berichtet: „Die Möglichkeit zum Gärtnern wird sehr gut angenommen. Die Bewohner:innen organisieren eigenständig Geräte, Pflanzen und Bewässerung. Für die gemeinschaftliche Nutzung stellen wir zusätzlich Gartengeräte bereit.“

Partizipation als Planungsprinzip

Doch wie gelingt es, Freiräume so zu gestalten, dass sie nicht nur funktional sind, sondern auch Identität stiften? Für das Wiener Büro PlanSinn liegt der Schlüssel in einem integrierten, partizipativen Ansatz: „Landschaftsarchitektur ist keine Sozialarbeit, sondern arbeitet im besten Fall eng mit ihr zusammen“, betonen Eric Meinharter und Hannes Posch von PlanSinn. „Partizipative Planung kann soziale Komponenten stärker in den Prozess einbringen und wirkt als vertiefender sozialer Layer im Entwurf.“

Ein Beispiel ist das Forschungsprojekt „Lilagreen“, bei dem in einem Living Lab gemeinsam mit Anwohner: innen Strategien für die Klimawandelanpassung des öffentlichen Raums entwickelt wurden. In mehreren Etappen wurden notwendige Maßnahmen identifiziert, diskutiert und in die Planung integriert. Die Beteiligten agierten dabei als Alltagsexpert:innen, gleichberechtigt mit Fachplaner:innen. Auch im kleineren Maßstab zeigt sich das Potenzial kooperativer Planung: Bei der Neugestaltung des Diodato Parks in Wien-Wieden entstand auf engstem Raum ein vielfältig nutzbarer Grätzlpark – mitgestaltet von Anrainer:innen, Schüler:innen und Planer:innen. Die Ergebnisse eines moderierten Beteiligungsprozesses flossen direkt in den Qualitätenkatalog ein und wurden in der Planung konsequent umgesetzt.

Walter-Kuhn-Park:
Der Walter-Kuhn- Park im Wiener Stadtentwicklungsgebiet Neues Landgut vereint auf 9.000 Quadratmetern vielfältige Nutzungsbereiche und schafft durch durchdachte Gestaltung eine soziale Verbindungsplattform, die gleichzeitig ökologische Ausgleichsflächen bietet und die Quartiersidentität stärkt. Planung: DnD Landschaftsplanung ZT GmbH, superwien, Land in Sicht, Hannes Batik

Schlüssel zur sozialen Stadt

Für Dominik Scheuch, Yewo Landscapes, ist klar: Zeitgenössische Freiraumgestaltung darf keine Kästchenmentalität verfolgen. Statt klar abgegrenzter Zonen für unterschiedliche Gruppen plädiert er für multicodierte Räume mit sanften Übergängen, die Kommunikation ermöglichen und gleichzeitig Rückzug zulassen. Inklusive Freiräume schaffen Aufenthaltsqualität für alle – mit niederschwelligen Angeboten, differenzierten Teilräumen und Gestaltungselementen wie Pflanzenstreifen oder Wasserspielen als Puffer zwischen lauten und ruhigen Bereichen.

Zugänglichkeit, Flexibilität und Partizipation sind für Scheuch die zentralen Hebel für soziale Integration: stufenlose Wege, mobile Möbel, ausreichend Schatten und Platz für Eigeninitiative – wie etwa Urban Gardening oder spontane Nutzung. Besonders wirksam ist es, vulnerable Gruppen wie Kinder oder ältere Menschen als Maßstab der Planung zu nehmen: „Wer für die Schutzbedürftigsten plant, schafft gute Räume für alle.“

Dass partizipative Prozesse auch zur Identifikation und Quartiersbindung beitragen, zeigt sich in Projekten wie dem Wieningerplatz. Die Nutzer:innen wurden frühzeitig eingebunden – mit positiven Folgen für Akzeptanz, Sicherheit und soziale Vielfalt. Auch Bottom-up-Initiativen, „weiße Flecken“ für spätere Aneignung und Kooperationen mit lokalen Organisationen spielen laut Scheuch eine wachsende Rolle. Letztlich, so Scheuch, geht es darum, öffentliche Räume nicht nur zu gestalten, sondern auch zu ermöglichen – als lebendige Orte des Miteinanders, die den Wandel der Stadt nicht nur abbilden, sondern aktiv mitgestalten.

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