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Wohnraummangel, steigende Mieten, stagnierender Neubau – Deutschland sucht händeringend nach Lösungen. Doch zwischen politischem Aktionismus, kommunalen Hürden und gesellschaftlicher Skepsis droht der „Bauturbo“ zu versanden.
Die Bundesregierung will endlich Tempo machen: Mit dem „Bau-Turbo“ zur beschleunigten Aufstellung von Bebauungsplänen signalisiert sie Handlungsbereitschaft im Kampf gegen Wohnraummangel. Doch was auf dem Papier nach Fortschritt klingt, stößt in der Realität schnell an Grenzen. Denn gebaut wird vor Ort – und dort bremsen komplizierte Planungsverfahren, unzureichende Flächenverfügbarkeit und eine zunehmend kritische Öffentlichkeit den dringend benötigten Neubau.
Politischer Wille trifft auf baurechtliche Realität
Die Wohnungsbaukrise in Deutschland ist längst nicht mehr nur Thema für Fachkreise – sie hat sich zur gesellschaftlichen Dauerbaustelle entwickelt. Dabei ist der politische Wille inzwischen klar formuliert: Die Bundesregierung kündigt für das zweite Halbjahr konkrete Maßnahmen zur Umsetzung ihres Koalitionsvertrags an. Doch wie Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer der BAUINDUSTRIE, betont: „Alle Maßnahmen, die nicht 2025 angestoßen werden, haben für den Wohnungsbaumarkt in dieser Legislaturperiode kaum noch einen Effekt.“
Die Zahlen unterstreichen den Ernst der Lage: Wurden 2011 in den sieben A-Städten noch 5,85 Millionen Quadratmeter Bauland verkauft, waren es 2024 nur noch rund 1,63 Millionen – ein Rückgang um über 70 Prozent. Bauland ist vielerorts Mangelware und selbst dort, wo Flächen verfügbar sind, verhindern hohe Preise, komplizierte Verfahren und politische Widerstände eine schnelle Entwicklung. Mehr im Beitrag: Allein der politische Wille baut nicht die dringend benötigten Wohnungen.
Mietpreisspirale: Deutschland in der europäischen Mitte – mit Tendenz nach oben
Während Neubauprojekte ins Stocken geraten, steigen die Mieten – vor allem in den deutschen Großstädten. München führt das Ranking an: 21,90 Euro pro Quadratmeter zahlen Mieter im Schnitt. Frankfurt (18,50 Euro), Berlin (18,40 Euro) und Hamburg (16,10 Euro) folgen. Innerhalb eines Jahres haben sich die Mieten in den Metropolen durchschnittlich um einen Euro pro Quadratmeter erhöht.
Im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit im Mittelfeld. In Luxemburg City kostet der Quadratmeter zur Miete mit über 43 Euro doppelt so viel wie in München – europaweit Spitze. In Ländern wie Polen (+19,3 %), Albanien (+16,5 %) oder Bosnien-Herzegowina (+12,7 %) steigen die Immobilienpreise ebenfalls rasant – allerdings auf einem deutlich niedrigeren Ausgangsniveau. Währenddessen kämpft die Türkei aufgrund der Inflation mit einem Preisverfall von 12 %.
Der Blick über die Grenze zeigt: Die Wohnraumfrage ist ein gesamteuropäisches Problem, aber jedes Land hat seine eigene Gemengelage aus Marktmechanismen, politischem Handeln und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Weitere Hintergründe finden Sie im Deloitte-Betrag: Property Index 2025: Deutsche Wohnimmobilien unter Druck – München bleibt teuer, Nachfrage verlagert sich ins Umland
Genossenschaften zwischen Anspruch und Akzeptanz
Besonders in der Kritik: Wohnungsgenossenschaften – obwohl sie im Sinne des Gemeinwohls agieren. Ein aktuelles Beispiel finden wir bei der WOGE in Kiel. Hier plant die Genossenschaft einen Ersatzneubau mit 80 bezahlbaren Wohnungen, weil die Sanierung von 40 alten Wohnungen technisch schwer machbar ist. Dies stößt jedoch auf massiven öffentlichen Widerstand. Dr. Ulrick Schlenz, Vorstand der Wankendorfer, kennt die Herausforderungen: „Die Planungsvorläufe sind lang, weil wir Alternativen für alle Betroffenen finden müssen. Einige Menschen ziehen frühzeitig aus – das führt zu Mietausfällen, die wir bewusst in Kauf nehmen.“
Trotz dieser Bemühungen werden genossenschaftliche Vorhaben in der öffentlichen Debatte zunehmend kritisch beäugt. „Das gemeinwohlorientierte Handeln wird in der medialen Berichterstattung kaum gewürdigt. Stattdessen werden wir in die Ecke gewinnorientierter Luxussanierer gestellt – das ist einseitig und unehrlich“, so Schlenz weiter.
Besonders problematisch sei die fehlende Differenzierung: Während Klimaziele und Energieeffizienzmaßnahmen gefordert werden, schlägt genossenschaftlichen Projekten im konkreten Fall oft Ablehnung entgegen – ein Dilemma, das die Wohnungswirtschaft zunehmend lähmt. Lesen Sie auch unsere Titelgeschichte: Abriss oder Modernisierung – Eine sachliche Einordnung von Bauprojekten von Dr. Ulrik Schlenz
Der Turbo zündet nur, wenn alle mitziehen
Die aktuelle Lage auf dem deutschen Wohnungsmarkt ist das Ergebnis eines jahrelangen Reformstaus, fehlender Investitionsanreize und komplexer Genehmigungsverfahren. Der politische Wille ist ein wichtiger erster Schritt – aber ohne Umsetzung auf kommunaler Ebene, ohne Akzeptanz vor Ort und ohne spürbare Entlastung der Bauwirtschaft bleibt der „Bauturbo“ nur ein symbolischer Akt.
Gleichzeitig ist mehr Ehrlichkeit in der öffentlichen Debatte gefragt: Wer Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und bezahlbaren Wohnraum will, muss die damit verbundenen Zielkonflikte offen benennen – und gemeinsam tragbare Lösungen entwickeln. Dazu gehört auch, genossenschaftlichen Akteuren wieder mehr Vertrauen entgegenzubringen.
September 2025, Ausgabe Nummer 204, Wohnungswirtschaft heute., mit neuen Inhalten.
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Bleiben Sie zuversichtlich und nachhaltig und bedenken Sie: Ihr Bauamt vor Ort entscheidet
Ihr Gerd Warda