2023 – Das Marktgeschehen und die Entwicklungen in der Versicherungswirtschaft

Die wohnungswirtschaftliche Versicherungstagung der AVW ist für viele Versicherungsverantwortliche der Wohnungsunternehmen ein Pflichttermin des Jahres. Auf der Tagung informiert die AVW regelmäßig über aktuelle Entwicklungen in der Versicherungswirtschaft. Auch am 2. November 2023 nahmen wieder zahlreiche Gäste aus der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft teil.

Hochkarätige Referenten teilten ihr Wissen zu aktuellen Themen wie „Versicherbarkeit von erneuerbaren Energien“ oder „Einsatz von KI in der Versicherungswirtschaft“. Traditionell wurde die Veranstaltung von Dirk Gehrmann, Bereichsleiter Bestandsmanagement, mit seinem Vortrag „AVW kompakt“ gestartet. Lesen Sie hier die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick:

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Der Versicherungsmarkt in den einzelnen Versicherungssparten

Sach: Trotz einer im Jahr 2022 verbesserten Schaden-/Kostenquote von 98 % zu 129 % im Vorjahr ist aufgrund zunehmender Naturgefahren und der Inflation weiterhin mit einer harten Marktphase mit steigenden Prämien und reduzierten Zeichnungskapazitäten zu rechnen.

Haftpflicht: Im wohnungswirtschaftlichen Bereich verläuft diese Sparte erfreulicherweise seit vielen Jahren problemlos. Deckungen sind weiterhin zu angemessenen Preisen und Bedingungen zu erhalten.

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Kraftfahrzeug: Aufgrund der inflationsbedingten Preissteigerungen für Reparaturen stehen die Versicherer unter erheblichem Sanierungsdruck. Die marktweiten Beitragssteigerungen können teilweise durch den Wettbewerb der Anbieter abgemildert werden.

D&O: Die Versicherer lockern ihre harte Preispolitik der Vorjahre. Prolongationen sind zu moderaten Preiserhöhungen und tlw. mit 2-jährigen Laufzeiten möglich. Aufgrund zunehmender Insolvenzen ist jedoch mit vermehrten Schadenersatzforderungen gegen Manager zu rechnen.

Cyber: Nach einem verlustreichen Jahr 2021 haben die Cyberversicherer 2022 wieder schwarze Zahlen geschrieben. Die Prämienanpassungen haben sich in der aktuellen Prolongationsphase abgeflacht.

Die kombinierte Schaden-/Kostenquote in der Schaden- und Unfallversicherung lag im Jahr 2022 insgesamt bei 94,6 % (Vorjahr 102,3 %). Damit haben die Versicherer über alle Sparten hinweg einen Gewinn erzielen können.

Erneut defizitäres Jahr für die Wohngebäudeversicherer

Mit 106 % liegt die Schaden-/ Kostenquote in der Wohngebäudeversicherung 2022 wieder deutlich in der Verlustzone. 2,44 Millionen Schäden verursachten Versicherungsleistungen von insgesamt 7,47 Milliarden Euro. Größter Schadentreiber mit etwas über einer Million Schäden und 3,8 Milliarden Euro Versicherungsleistungen ist dabei weiter Leitungswasser. Infolge der heftigen Winterstürme im Februar 2022 sind aber auch die Versicherungsleistungen bei der Gefahr Sturm/Hagel erheblich gestiegen (1,2 Mio. Schäden, 1,9 Mrd. EUR Leistungen).

Und der Trend zu schweren Unwettern hält an: Der GDV prognostiziert für 2023 einen Aufwand von rund vier Milliarden Euro für Naturgefahren (Sach- und KFZ-Versicherung insgesamt). Allein die zwei Unwetter „Lambert“ und „Kay“ haben im Sommer 2023 versicherte Schäden von rund 740 Millionen EUR verursacht.

Was die Inflation für den Versicherungsmarkt bedeutet

Auch wenn die Inflationsrate in Deutschland im September mit 4,5 % und im Oktober auf knapp unter 4 % auf den bislang niedrigsten Wert seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine gefallen ist, bleibt sie hoch. Der Preisanstieg trifft auch die Wohngebäudeversicherung hart, da die Steigerung der Baupreise und Lohnkosten hierbei jährlich berücksichtigt werden muss. Um eine Unterversicherung zu vermeiden, werden anfallende Kosten für Reparaturen und Wiederherstellungen zu aktuellen Preisen ersetzt („gleitende Neuwertversicherung“).

In 2023 ist der Anpassungsfaktor in der Wohngebäudeversicherung im Vergleich zum Vorjahr um knapp 15 % gestiegen (Ø 2013-2022: ca. 3%). Neben der angespannten Schadenentwicklung spielt der Anpassungsfaktor eine zentrale Rolle für die Beitragsanpassung in der Wohngebäudeversicherung.

Kommt die Pflichtversicherung Elementar für private Gebäude?

Der Bundesrat hat sich für die Einführung einer verpflichtenden Elementarschadendeckung ausgesprochen. Die Versicherungswirtschaft ist gegen eine Pflicht und bevorzugt ein Opt-out-Modell. Sie fordert den Versicherungsschutz für private Hauseigentümer obligatorisch mit aufzunehmen mit der Möglichkeit, diesen dann abzuwählen, verbindliche Schritte zur Klimafolgenanpassung (z.B. Hochwasserschutz, Bauverbote in gefährdeten Gebieten) und eine Vorsorge für den katastrophalen Kumulschadenfall – eine sogenannte „stop-loss-Regelung“ des Staates.

Nachhaltigkeit in der Versicherungswirtschaft

Die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz bestimmen zunehmend die Agenda von Wirtschaft und Gesellschaft. Dazu gehören die Klimaneutralität der Kapitalanlagen, ein verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen und die Förderung der Vielfalt. Mit einem weltweiten Anlagevermögen von 20 bis 30 Billionen US-Dollar kann die Versicherungswirtschaft hier direkt Einfluss nehmen, indem sie in zukunftsweisende Branchen und Technologien investiert.

In einem Positionspapier hat sich der GDV zum nachhaltigen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft verpflichtet: Kapitalanlagen sollen bis spätestens 2050 klimaneutral angelegt werden, zudem sollen bis 2025 Nachhaltigkeitskriterien für die Schadenregulierung und klimaneutrale Geschäftsprozesse implementiert werden.

Neue Anforderungen an Versicherungsprodukte

Die Versicherbarkeit von einigen Risiken wird aufgrund des Klimawandels und dem damit verbundenen Schadenpotenzial durch Extremwetterereignisse zunehmend schwieriger. Bis 2025 sollen ESG-Kriterien auch in die Zeichnungspolitik integriert werden. Versicherer müssen dafür dem „Prinzip der risikogerechten Prämienkalkulation“ folgen. Gewerbliche und industrielle Risiken, bei denen der Transformationsprozess zu einer nachhaltigen und klimaneutralen Wirtschaft negiert wird, sollen zudem weitestgehend ausgeschlossen werden.

Damit ändern sich auch die Anforderungen an Versicherungsprodukte: Nachhaltigkeit wird bei der Gestaltung neuer Versicherungsprodukten und bei der Schadenregulierung eine bedeutende Rolle spielen. Immer wichtiger werden innovative Versicherungskonzepte („nutzen statt besitzen“, „Reparatur statt Tausch“, E-Mobilität) sowie eine wirksame Klimafolgenanpassung bei Reparatur und Wiederaufbau von zerstörten Sachwerten.

Das Angebot an Versicherungslösungen für neue Risiken, etwa Anlagen der erneuerbaren Energien und andere umweltschonende Technologien sowie „Klimaversicherungen“ gegen Extremwetterereignisse (Flut, Dürre u.a.) wird weiter ausgebaut werden.

Ausblick auf 2024

Was erwartet die Wohngebäudeversicherer 2024? Der Preisanstieg durch den gleitenden Neuwertfaktor wird für das Jahr 2024 mit 7,41 % (Anpassungsfaktor +7,53 %) im Vergleich zum Vorjahr moderater ausfallen. Im langfristigen Vergleich liegt der Anstieg aber immer noch deutlich über dem Durchschnitt der letzten Jahre. Festzustellen ist auch, dass die Versicherer ihre Zeichnungskapazitäten zurückfahren.

100 %-Zeichnungen werden eher die Ausnahme sein. Über die Indexanpassung hinaus wird es bei schadenbelasteten Verträgen weitere Beitragsanpassungen geben. Diese sind häufig über die den Verträgen zugrundliegenden Beitragsanpassungsklauseln (BAK) geregelt. Und: Die Digitalisierung insbesondere im Bereich der Schadenabwicklung hält mit zunehmender Geschwindigkeit an.

Dirk Gehrmann

AVW, Prokurist, Bereichsleiter Bestandsmanagement

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