Das Erdgeschoß ist das Sorgenkind von Bauträgern und Städteplanern. Unkonventionelle Ideen lassen die Problemzone wieder aufleben. Gasthäuser, Fabriken und Garagen stehen im Zentrum von kreativen Lösungen vom Burgenland bis Tirol.
MARIETTA ADENBERGER
Ohrenbetäubendes Knallen, orange Staubwolken und ein über 20 Meter hoher zu Boden krachender Schornstein: Den „Startschuss“ eines Bauprojekts hat man in der 3.000-Einwohner-Gemeinde Hornstein im Bezirk Eisenstadt-Umgebung wörtlich genommen. Auf dem 16.000 Quadratmeter großen Gelände einer ehemaligen Seidenbandfabrik entsteht im nächsten Jahr neben 16 Startwohnungen, einem Pflegewohnheim und betreuten Wohnungen ein großes Ärztezentrum mit Apotheke. Bürgermeister und Bauträger begingen den Spatenstich im Juli mit der Sprengung des Fabrikschlotes.
Das Ziel ist ein Primärversorgungszentrum, mit dem das Erdgeschoß großflächig bespielt wird – mit erweiterten Öffnungszeiten für Berufstätige und kurzen Wegen für die Menschen der ländlichen Region. Konkret sind Ordinationen für praktische Ärzte, Fachärzte und andere Dienstleister geplant. Das Projekt wird in Zusammenarbeit von der Oberwarter Siedlungsgenossenschaft OSG, der Marktgemeinde und dem Arbeiter Samariterbund verwirklicht. Der Abriss der 1904 erbauten Fabrik war laut dem Bauträger nötig, weil ein Neubau günstiger kommt als eine Sanierung des Altbestands mit Umbau. Das Gesundheits- und Pflegezentrum ist eines von mehreren Nachnutzungsprojekten von Fabriks- und Betriebsgeländen im nördlichen Burgenland. Weitere Beispiele sind die Scana-Gründe in Neusiedl am See oder das ehemalige Kabelwerk in Winden am See.
Wirtshäuser mit Potenzial
Im Südburgenland geht der Trend im gemeinnützigen Wohnbau hingegen dahin, ehemalige Gasthäuser umzubauen und nachzunutzen. Gingen die Wirtsleute in Pension, fand sich häufig kein Nachfolger mehr. In den Abwandergemeinden im Süden sind diese leerstehenden Objekte, die oft mitten in den Ortszentren und damit eigentlich attraktiver Lage liegen, ein Problem. Früher dienten sie als wichtige Kommunikationszentren, lassen aber heute die von der Landflucht geprägten Gemeinden noch trister erscheinen.
In der Gemeinde Jabing im Bezirk Oberwart wird nun aus dem ehemaligen Gasthaus Oswald-Gröller, das die OSG gemeinsam mit der Gemeinde ersteigert hat, ein Generationenhaus mit barrierefreien Seniorenwohnungen im Erd- und modernen Startwohnungen im Obergeschoß – mit Infrastruktur wie einem Nahversorger in unmittelbarer Nähe. Dadurch soll ein markanter Punkt im Ort wieder aktiviert werden.
„Solche Projekte sind wichtig, weil sie einerseits eine Möglichkeit bieten, die Bevölkerungsentwicklung zu stabilisieren. Andererseits tragen sie zur Dorferneuerung bei, indem die bereits vorhandene Infrastruktur neu auf das Dorfleben ausgerichtet wird“, sagt OSG-Obmann Alfred Kollar, der sich selbst an einen langjährigen Leerstand in der Grenzregion erinnert: Das ehemalige Gasthaus und Hotel Rose am Hauptplatz in Rechnitz, ebenfalls im Bezirk Oberwart. Früher sei es das Gasthaus schlechthin gewesen, die vergangenen 15 Jahre stand es jedoch leer. Ein neuer Eissalon mit Kaffeehaus im Erdgeschoß hat hier schon eröffnet, geplant ist noch eine neue barrierefreie Polizeistation. Die Beamten werden von einem Haus an der Grenze direkt in den Ortskern übersiedeln. Die oberen Geschoße bieten betreute Kleinwohnungen sowie großzügige Dachgeschoß-Wohnungen mit Blick ins Weingebirge. Die Fertigstellung des Projekts ist für September 2019 geplant…