Innovationen als Erfolgsrezept

Keine Angst vor der Klima-katastrophe! Zahlreiche Pilotprojekte im Wohnbau geben Anlass zu Hoffnung. Die Ideen sind vielfältig – und in manchen Fällen geht es um weit mehr als nur den Klimaschutz. Das Thema forciert Innovationen – und erfasst ganze Stadtteile.
MAIK NOVOTNY

Für den Klimaschutz streikende Schüler wie die 16-jährige Schwedin Greta Thurnberg, die Ende 2018 auf der UN-Klimakonferenz in Katowice und beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos mit dringlichen Mahnungen für Aufsehen sorgte. Insekten-Apokalypse, Hitzesommer und Trockenheit, steigende Meeresspiegel: Die drohende Klimakatastrophe ist zurzeit im Gespräch. Endlich, könnte man sagen. Fast schon zu spät, könnte man befürchten. Man könnte aber auch anmerken: Nicht erst seit heute. Denn Initiativen zum Klimaschutz wurden schon seit längerem auf allen politischen Ebenen etabliert, nicht zuletzt im Wohnbau.

- Anzeige -

Das ist auch dringend nötig, denn laut Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus, BMNT, werden etwa 15 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen in Österreich durch Heizungs- und Warmwasserbereitungsanlagen in Gebäuden verursacht. Zwischen 70 und 75 Prozent dieser Emissionen (das sind rund sieben Millionen Tonnen) entfallen auf Wohngebäude. Die österreichische Klima- und Energiestrategie (#mission2030) soll den Handlungsrahmen für den Nationalen Energie- und Klimaplan für Österreich, NEKP, bis 2030 bilden. Die im Jänner 2019 vom BMNT veröffentlichte Studie „Maßnahmen im Gebäudesektor 2009 bis 2017“ verzeichnet zwar einen leichten Rückgang der Treibhausgas-Emissionen im Sektor Gebäude, warnt aber: „Die Effekte von Wärmedämmung und Erneuerung der Energiesysteme und des Einsatzes von Brennstoffen mit geringerem Kohlenstoffgehalt werden durch Trends wie größere beheizte Flächen, dem Anstieg von Bevölkerung und Singlehaushalten wieder zunichtegemacht.“ Im geförderten Wohnbau ist man optimistischer: Durch Wohnbauförderungsmaßnahmen der Länder konnten im Jahr 2017 Emissionseinsparungen im Ausmaß von rund 165.000 Tonnen CO2 erreicht werden – vier Prozent mehr als im Vorjahr. Einen wesentlichen Anteil daran hat der Einsatz klimaschonender Energiesysteme, so die Bilanz.

Programm Klimarettung

Auf Landesebene hat Oberösterreich das Programm Klimarettung etabliert. In dessen Rahmen verpflichten sich die Wohnbauträger, den Klimaschutz umfassend bei allen Planungen zu berücksichtigen und den gesetzlichen Standard für öffentliche Gebäude jetzt schon im Wohnbau umzusetzen. Dies bedeutet unter anderem die Einhaltung der Mindestkriterien bei den Energiekennzahlen bei Neubauten, die Verpflichtung zur nachträglichen Außendämmung bei Fassadenerneuerungen, eine Energiebuchhaltung zur Kontrolle des Energieverbrauchs, eine Prüfungspflicht für den Einsatz von erneuerbaren Energieträgern und der Einsatz von Solaranlagen bei Neubauten.

Die Stadt Wien wiederum hat sich dem Thema der urbanen Überhitzung angenommen und einen umfassenden Leitfaden zur Vermeidung sommerlicher Überwärmung im Wohnbau herausgegeben. Wie das Forschungsprojekt ÖKS15 – Klimaszenarien für Österreich – zeige, könne künftig von einem deutlichen Temperaturanstieg in Wien ausgegangen werden, so die Autoren des Leitfadens. Diese Annahme werde auch von anderen Projekten wie z. B. „FocusI“ (Future of Climatic Urban Heat Stress Impacts) bekräftigt.

- Anzeige -

Neben Planungsstrategien präsentiert der Leitfaden zahlreiche Best Practice-Beispiele. Zielgruppe sind Bauträger, Planer, die Entscheidungsträger der öffentlichen Hand sowie Endnutzer. Als Maßnahmen werden u. a. die Verwendung eines außenliegenden Sonnenschutzes vorgeschlagen oder die Begrünung von Fassaden und Dächern. Laut einer Studie sind in Wien derzeit nur zwei bis drei Prozent der Dächer begrünt – möglich wären bis zu 45 Prozent, was eine drastische Reduzierung der Wärmeinseleffekte in der Stadt bewirken könne.

Eine weitere noch zu wenig genutzte Verbesserungsmöglichkeit liegt in der Kühlung durch Fensterlüftung, besonders Nachtlüftung. Hier liege das Potenzial im Wohnbau in nutzbarem Anteil der Jahresstunden zwischen 20 Prozent für den Gebäudebestand und ca. 50 Prozent für Niedrigenergiegebäude. Ebenso wird die thermische Bauteilaktivierung empfohlen. Bei einer Lebensdauer der Gebäude von 50 bis 100 Jahren machten die zusätzlichen Investitionskosten all dieser passiven Maßnahmen nur einen Bruchteil der gesamten Lebenszykluskosten aus, vor allem im Hinblick auf steigende Temperaturen und höhere Strompreise für die Kühlung.

Bauteilaktivierung im Wohnbau

Ein Best-Practice-Beispiel, bei dem die thermische Bauteilaktivierung im mehrgeschossigen Wohnbau angewendet wird, ist das Projekt „MG22“ in der Mühlgrundgasse im 22. Wiener Gemeindebezirk. Hier errichtet der Bauträger Neues Leben gemeinsam mit M2plus Immobilien GmbH bis Herbst dieses Jahres mit Mitteln der Stadt Wien und Forschungsförderung des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie, BMVIT, insgesamt 155 Wohnungen (Entwurf: Architekt Alfred Charamza, Sophie und Peter Thalbauer Architektur, Thaler Thaler Architekten). Der Beton wird dabei über eingebaute Rohrsysteme aktiviert, in denen je nach Bedarf warmes oder kaltes Wasser fließt. Die Wärme für Beheizung und Warmwasser wird am Mühlgrund über Sole-/Wasser-Wärmepumpen in Verbindung mit Erdwärme-Tiefensonden erzeugt, im Sommer wird das Sondenfeld regeneriert. Insgesamt 30 Erdsonden werden mit je 150 Meter gebohrt und verbaut. Ab einer Tiefe von rund zehn bis 20 Meter herrscht das ganze Jahr über eine gleichmäßige Temperatur von zehn bis 12 Grad Celsius. Die entzogene Erdwärme wird im Heizfall mit Hilfe einer Wärmepumpe auf ein höheres Temperaturniveau gebracht. Im Kühlfall wird Wärme ins Erdreich eingebracht.

„Gerade im Hinblick auf den verstärkten Nutzen regenerativer Energien ist es wichtig, dass die Stadt der Zukunft genügend Flexibilität und Speicherpotential hat. Deswegen war es ein explizites Anliegen unserer Forschungs-Ausschreibungen, die Stadt als Energieschwamm zu atthematisieren“, sagt Michael Paula, Leiter der Abteilung Energie- und Umwelttechnologien im BMVIT. „Die interessanteste Idee dabei ist, die gesamte Masse der gebauten Stadt als Energiespeicher zu verstehen und zu verwenden.“

Intelligente Vernetzung

Thermische Bauteilaktivierung ist an sich keine neue Erfindung, in Wien kommt sie jedoch erstmals im sozialen und mehrgeschossigen Wohnbau zum Einsatz, noch dazu mit einem Innovations-Bonus: Das beteiligte Unternehmen FIN (Future Is Now) hat eine Systemerweiterung entwickelt, die es ermöglicht, auch überschüssige Windenergie in der Betonmasse zu speichern. Ein Windstrom-Lastmanagement sorgt dafür, dass der Strom zum Betrieb der Wärmepumpen weitestgehend aus Überschussproduktion stammt. 30 bis 40 Prozent des Endenergiebedarfs werden für das Heizen und Kühlen benötigt. Die Wohnhäuser selbst werden im Niedrigenergiehausstandard errichtet, mit einem Heizwärmebedarf von 24 bis 28 kWh/m²a. „Die niedrigen Energiekosten unterstützen leistbares Wohnen, deshalb sollen solche Projekte kein Einzelfall bleiben“, so Johann Gruber, Obmann von Neues Leben…

zum vollständigen Artikel als PDF

Lesen Sie die nächsten Artikel dieser Ausgabe

Vorheriger Artikel
Nächster Artikel

Lesen Sie Artikel zum selben Thema