Verzwickte Stadtentwicklung

Bald starten die Bauträgerwettbewerbe für Wiens letztes großes zentrales Entwicklungsgebiet den Nordwestbahnhof, wo früher Züge fuhren, wird heute gewohnt und gearbeitet. Wien wächst und da kommen Flächenreserven in gut erschlossenen Gebieten wie gerufen. Mit dem ehemaligen Nordwestbahnhof wartet das letzte zentral gelegene Bahnareal auf seine neue Bestimmung. Bis 2030 werden Wohnungen für 16.000 Menschen entstehen, angeordnet um eine Grünfläche, die im Süden an den Augarten grenzt. Doch die Pläne können nicht recht überzeugen.

Oberflächlich wird alles ein bisschen autofrei: Dem motorisierten Individualverkehr bleibt die Durchfahrt verwehrt, die Erschließung erfolgt mittels Stichstraßen. Dieses progressive Momentum kommt aber rasch wieder zum Stehen, denn die Stadt zwingt die Bauträger dazu, in hohem Maße Garagenplätze zu errichten.

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In Zeiten explodierender Baukosten ist das schwer nachvollziehbar, zumal es auch um leistbaren Wohnbau geht. Dessen Anteil könnte übrigens größer sein. Die möglichen zwei Drittel werden am Nordwestbahnhof nicht erreicht, 40 Prozent werden freifinanziert sein. Der Nachfrage nach leistbaren Wohnungen kommt das nicht ausreichend entgegen.

Auf die Ästhetik nicht vergessen

Der Nordwestbahnhof hat ein Innen und ein Außen. Außen – im Umfeld – fehlt es vielfach an attraktiven öffentlichen Räumen. Mit der Entwicklung des Areals gilt es sicherzustellen, dass der neue Stadtteil möglichst nahtlos an den übrigen Bezirk angebunden wird, ohne endlose Blechlawinen auszulösen. Ein Beispiel, wie es nicht gehen sollte, ist das Sonnwendviertel in Favoriten, wo die unnötig verbreiterte Sonnwendgasse als Barriere zum alten Bezirksteil wirkt.

Im Inneren des Nordwestbahnhof- Areals sind die Bestandsgebäude von Interesse. Die meisten werden abgerissen, nur zwei historische Hallen bleiben für soziale und kulturelle Nutzungen bestehen. Mehrheitlich ist der Nordwestbahnhof von Nutzbauten der Nachkriegszeit geprägt. Warum nicht zumindest ein Gebäude aus dieser Zeit erhalten und als Gemeinschaftszentrum bereitstellen? Das wäre eine angenehme Abkehr von der üblichen destruktiven Vorgangsweise, die auch beim derzeit vor dem Abbruch stehenden Bezirkszentrum Kagran schlagend werden dürfte.

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Leitet sich die Form von der Konstruktion ab, sind blockartige und detailarme Wohnmaschinen eine logische Folge, wenn der Kostendruck im Rücken hockt. Architektonische Armut und exorbitante Wohnungspreise können aber auch Hand in Hand gehen, wie der freifinanzierte Wohnbau in Wien mitunter eindrücklich unter Beweis stellt. Soll das beim Nordwestbahnhof anders sein, braucht es klare Leitlinien, zum Beispiel nach dem Vorbild der Niederlande. So wacht etwa im Stadtentwicklungsgebiet Leidsche Rijn in Utrecht ein Stadtplanungsbüro über alle Bauprojekte. In Delft legt ein Bildqualitätsplan den Rahmen für die äußere Gestaltung im zentralen Stadtentwicklungsgebiet fest.

Beim Nordwestbahnhof muss es gelingen, leistbaren Wohnbau mit attraktiver Architektur und freundlichen, öffentlichen Räumen zu kombinieren. Wenn es aus Kostengründen auch nur mit Abstrichen möglich ist, einen Mittelweg zu finden, wäre schon viel erreicht. Ansprechende Farben und Proportionen, offene einladende Erdgeschoße und kleine Details kosten nicht die Welt, brauchen aber einen gewissen Gestaltungswillen. Vorgaben wie Material, Farben und die Ausgestaltung der Erdgeschoßzonen nach dem Vorbild der Gründerzeit könnten Qualität und Kohärenz über einzelne Gebäude hinausschaffen. Gelingt ein schönes und belebtes Quartier, haben nämlich Generationen etwas davon.


Georg Scherer

ist Blogger. Wenn er nicht gerade auf www.wienschauen.at über Altstadterhaltung, Architektur, Stadtplanung und den öffentlichen Raum schreibt, ist er Bibliothekar an der Wirtschaftsuniversität Wien. Nähere Infos über die erwähnten Beispiele aus den Niederlanden finden sich auf seiner Webseite.

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