Lebenslang wohnen

Wohnen für Junge, Wohnen für Familien, Wohnen für Senior:innen – dieses Schubladendenken funktioniert nicht mehr. Individualisierung und Pluralisierung der Lebensmodelle haben die klassischen Einteilungen über den Haufen geworfen.
FRANZISKA LEEB

Gibt es sie, die Wohnung, die von der Wiege bis zum Grabe taugt? Geht es nach den Wünschen der über 60-jährigen Österreicher:innen, dann müsste es sie geben. Denn die meisten von ihnen wollen im Alter in ihrem derzeitigen Zuhause bleiben. Das bestätigt der unter der Leitung von Franz Kolland am Kompetenzzentrum für Gerontologie und Gesundheitsforschung an der Kremser Karl Landsteiner Privatuniversität erstellte „Wohnmonitor Alter 2023“, der im Herbst erscheinen wird.

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In der Architektur ist oft von flexiblen Grundrissen die Rede, die so wandelbar sind wie eine Theaterkulisse. So entwickelte Architekt Klaus Kada für seinen Bauteil im 2014 fertiggestellten „Wohnzimmer Sonnwendviertel“ mobile Schrankwände, um ohne bauliche Änderungen auf sich ändernde Bedürfnisse reagieren zu können. Wir haben bei der Hausverwaltung der EBG, die als Teil von win4wien, mit den Bauträgern Neue Heimat Gewog, Neues Leben und Mischek Liegenschaften diese Wohnanlage errichtete, nach ihren Erfahrungen gefragt: „Eine super Idee, die sich in der Praxis nur bedingt bewährt hat.“


Leitfäden und Normen

  • Wohnen fürs ganze Leben – 20 Punkte: designforall.at/wp-content/downloads/20Punkte-Wohnen.pdf
  • Handbuch für barrierefreies Wohnen: designforall.at/wp-content/ downloads/BMASK-Handbuch-2016-online.pdf
  • Leitfaden der WHO für altersfreundliche Städte und Gemeinden: extranet.who.int/agefriendlyworld
  • EN 17210 Barrierefreiheit und Nutzbarkeit der gebauten Umgebung, funktionale Anforderungen, 2021
  • OIB Richtlinie 4, Nutzungssicherheit und Barrierefreiheit, 2023
  • ÖNORM B 1600
  • Technisches Merkblatt „Anpassbarer Wohnbau in der Steiermark“: technik.steiermark.at/cms/dokumente/11507965_58814178/7b471173/ Anpassbarer_Wohnbau_in_Verbindung_mit_der%20OIB_RL_4.pdf

Das kleinere Problem ist, dass die Schränke im beladenen Zustand wegen ihres Gewichts nicht mehr zu verschieben sind. Das größere: Es kommt zu Lärmübertragungen ins Nachbarzimmer. Manche Mieter:innen haben im Lauf der Zeit die Schränke durch Gipskartonwände ersetzt, wurden aber informiert, dass sie bei Rückstellung der Wohnung wieder den Urzustand herstellen müssen.

Die Architektin Lisa Zentner-Kathan, Bewohnerin der ersten Stunde, hält die beweglichen Raumteiler-Schränke für eine wunderbare Idee, auch wenn sie selbst sich mangels Bedarfs an Veränderbarkeit damals für eine maßgeschneiderte fixe Schrankwand als Raumteiler entschied. „Selbst wenn viele wenig damit anfangen können, man muss solche Konzepte immer wieder probieren und verbessern.“

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Wie sehr eine Wohnung noch im höheren Alter taugt, ist nicht nur eine Sache des Grundrisses, sondern auch des Quartiers, wie die Architektin Christiane Feuerstein betont. So seien Orte der Begegnung wichtig, die den Erhalt sozialer Netzwerke unterstützen. Laubengänge zum Beispiel, die Begegnungen und einen Tratsch vor der eigenen Haustür ermöglichen, oder Beete, deren Pflege ein Anlass zum Aufenthalt im Freien sind. Bänke und Abstellmöglichkeiten, um eine Rast einzulegen oder schön gestaltete Treppen mit angenehmem Steigungsverhältnis, um leichtes Cardiotraining in den Alltag zu integrieren, sind ebenfalls Angebote, die nicht nur den Alten das Leben leichter machen.

Im WOAL-Haus halten sich gemeinschaftliche und individuelle Flächen die Waage.

Sorgetragen als Teil des Wohnens

Wesentlich aber sei, dass das Sorgetragen wieder Teil des Wohnens werden müsse und in neuen Konstellationen sozialstaatliche Verantwortung und lokales Engagement verbunden werden. Dafür hat sich der Fachbegriff „Caring Communities“, übersetzbar mit „Sorgende Gemeinschaften“ etabliert.

Es brauche ein Zusammenspiel vielfältiger Angebote in einem örtlichen Gesamtkontext. „Ausgehend von der Frage, wer wo, wann, wie, für wen oder was und zu welchen Bedingungen sorgt, lassen sich, in Kooperation mit verschiedenen Projektpartner:innen Konzepte für einen innovativen und zukunftsfähigen Wohnraum entwickeln und umsetzen, die über die Objektebene des Gebäudes hinausgehen“, so Feuerstein.

Ohne Alterslimit wohnen

Wie lang eine Wohnung genutzt werden kann, hängt vom Grad der Barrierefreiheit und der Anpassbarkeit der Wohnung ab. Sogar bis zum Lebensende in Selbstbestimmung und Solidarität leben möchten die Mitglieder des Vereins „Woal“ – Leben ohne Alterslimit. Nach etlichen Jahren Vorarbeit wird der Wunsch nun im Quartier Kurbadstraße in Wien-Oberlaa Realität werden. Nach erfolgreicher Beteiligung am Bauträgerwettbewerb wird dort die gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft Gartenheim das Woal-Haus nach Plänen von Wieser Dill Architekten errichten.

Man hat sich überlegt, wie auch demenziell Erkrankte frei und sicher im Haus leben können und das Haus so barrierefrei angelegt sein soll, dass Pflegebedürftige im Bett durch das ganze Haus, hinaus in den Hof und auf den Dachgarten gefahren werden können. Gewohnt wird in Wohngemeinschaften, wobei individuellen Einheiten zu 25 Quadratmetern im Cluster um eine gemeinschaftliche Fläche organisiert sind. Gemeinschaftsräume sind vertikal über das ganze Haus verteilt. Angeboten werden unter anderem eine Cafeteria, eine Badoase mit Pflegebad und Sauna, ein Bewegungsraum und ein Nähatelier.

Zum Gesamtprojekt gehört das von nonconform geplante Familienhaus, dessen Bewohner:innen die Gemeinschaftsräume im Woal-Haus nutzen können und umgekehrt. „Es geht auch darum, dass Pflegebedürftigkeit im öffentlichen Raum sichtbar sein darf“, benennt Architekt Clemens Dill einen wichtigen Aspekt für das Zusammenleben von Jung und Alt im Quartier. Um bestehende Beziehungen zu berücksichtigen, werden Wohnungen in beiden Häusern auch im Tandem vergeben.

Salzburg-Nonntal: Im Versorgungshaus aus dem 19. Jahrhundert entstanden das „Wohnen am Donnenbergpark“, geförderte Mietwohnungen und betreutes Wohnen (Architektur: Fally plus Partner, Fritz Genböck); dahinter wurde das neue, in Hausgemeinschaften organisierte Pflegewohnhaus (Architektur Gasparin & Meier) errichtet.
Fotos: expressiv.at, Wieser Dill, gswb/vogl-perspektive.at

Pflege im Wandel

Die Vereinigten Versorgungsanstalten der Stadt Salzburg hatten anno dazumal ein Badezimmer pro Stockwerk, einen abgeschlossenen Krankentrakt und zwei Professionist:innenzimmer „in welchen Pfründner, die noch irgendein leichtes Handwerk betreiben, ihre Arbeiten verrichten können“, wie es anlässlich der Eröffnung 1898 hieß. Über ein Jahrhundert wurde das klösterlich anmutende Gebäude immer wieder an die sich ändernden Anforderungen und Pflegekonzepte angepasst – bis es nicht mehr ging.

„Pflegebedürftigkeit darf im öffentlichen Raum sichtbar sein.“

Clemens Dill

Heute sind nicht nur die Ansprüche an den Wohnkomfort höher, sondern auch die Menschen, die institutionelle Pflege in Anspruch nehmen, älter und dementsprechend stärker pflegebedürftig. Im Zuge einer Neuausrichtung sämtlicher Senior:innenheime der Stadt Salzburg errichtete die gswb an der Rückseite des Bestands einen von Gasparin & Meier geplanten Neubau, der das in Salzburg favorisierte Betreuungsmodell in Hausgemeinschaften ermöglicht.

Nach Übersiedlung der Bewohner: innen vom alten ins neue Haus entstanden im denkmalgeschützten Bestand 77 geförderte Ein- bis Drei- Zimmer-Wohnungen (Planung: Fally plus Partner und Arch. Fritz Genböck). 38 davon sind betreute Wohnungen, die vom im Souterrain untergebrachten Stützpunkt des Salzburger Hilfswerks betreut werden. Für ein lebenslanges Wohnen brauche es verschiedene Konzepte nebeneinander, betont auch Rebekka Rohner, Mit-Autorin am „Wohnmonitor Alter “. Nur an die Wohnformen und ihre Barrierefreiheit zu denken, sei zu wenig: Um ein gesundes Altern zu ermöglichen, sollten Kommunen an Wohnumwelten arbeiten, die Mobilität und soziale Eingebundenheit auch im höheren Alter ermöglichen.

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