Liebe Leser:innen,

Ich erzähle Ihnen zu Beginn dieses Hefts eine kleine Familiengeschichte, und sie beginnt mit meiner Oma. Als meine Oma 70 war und ich elf, war für mich einwandfrei klar: Meine Oma ist zwar, wie man so sagt, rüstig, aber es handelt sich um eine alte Frau. Gleichzeitig war mir bewusst, dass es jenseits dieser für mich endlos fernen Zahl 70 noch weitere Stufen des Alterns gab, und dafür gab es lebende Beweise.

Denn im kleinen Dachgeschoß des Mehrfamilienhauses, in dem meine Oma das Hochparterre bewohnte, lebte damals eine runzlige kleine Dame mit Kopftuch, die geradezu biblisch alt zu sein schien und noch das 19. Jahrhundert mit sich trug. Wir alle nannten sie „die Alte Oma“.

Heute ist meine Mutter 17 Jahre älter als meine Oma damals, sie wohnt alleine, geht ins Theater, schreibt Mails auf ihrem iPad und geht, wenn es das neue Hüftgelenk erlaubt, ins Fitness- Studio. Sie ist ganz anders alt als die beiden Omas von damals. Ein paar Jahre möchte sie noch in der Wohnung bleiben, in der sie sich sehr wohlfühlt, sagt sie.

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Nachvollziehbar. Aber auch vernünftig? Schwer zu sagen. Der Soziologe Christoph Reinprecht spricht davon, dass sich viele Menschen erst mit Mitte 80 ernsthaft Gedanken darüber machen, wo sie den letzten Lebensabschnitt verbringen wollen. Man will das Sich-Eingestehen so weit hinausschieben, bis es nicht mehr geht. Sollte ich einmal so alt sein, werde ich es möglicherweise genauso machen, und Sie vielleicht auch. Getting old, um mit Bette Davis zu sprechen, is not for sissies.

Wie aber sieht das altersgerechte Wohnen aus, und warum denken wir beim Wort „altersgerecht“ fast immer nur an die Senior:innen? Schließlich haben wir in jeder Lebensphase besondere Wohnbedürfnisse. Manche bleiben uns erhalten, manche ändern sich. Wie zum Beispiel lassen sich gleiche oder unterschiedliche Lebensabschnitte zu gemeinschaftlichen Wohnformen kombinieren? Wie plant man für Jugendliche, die mit Kinderspielplätzen nichts mehr anfangen können und von Erwachsenen in Ruhe gelassen werden wollen? Wollen sie nicht eher ungeplante Räume? Muss das Generationenwohnen soziologisch maßgeschneidert sein, oder braucht es Freiheit zur Entfaltung? Wohnt eine Oma anders als eine Alte Oma?

Daher haben wir im Titel dieses Hefts das Wort alter(n)sgerecht verwendet, denn Altern ist schließlich ein Prozess. Es ist ein Heft voller unterschiedlicher Familiengeschichten – wenn wir „Familie“ im weitesten Sinne als Formen des Zusammenlebens definieren. Und da wären wir schon mittendrin in der Kernaufgabe des Wohnbaus. Ich wünsche Ihnen eine jugendlichneugierige Lesefreude damit.

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