Soziale Infrastruktur zum Wohnen

Der Sockel der wachsenden Stadt – zwischen Wohnumfeldqualität und Problemzone – rückt zusehends in den Fokus der Stadtentwicklung. Politik und Stadtplanung wollen möglichst viel leistbaren Wohnbau mit gleichsam hohen urbanen Qualitäten. Bauträger fürchten zusätzliche Kosten und Risiken und eine generelle Überfrachtung des Wohnbausektors.
ERNST GRUBER/ MARGARETE HUBER

Vorstellungen von Lebendigkeit und urbaner Vielfalt, wie man sie von südländischen Plätzen kennt oder die vielzitierte Kleinteiligkeit gründerzeitlicher Straßen, halten oft als Ziele her. Dass in Zeiten wachsender und dichter werdender Städte mehr als reine Wohnanlagen produziert werden müssen, darüber sind sich mittlerweile alle an der „Stadtproduktion“ Beteiligten einig. Die Meinungen gehen dort auseinander, wo es um die Umsetzung geht. Die einen befürchten Leerstand im Erdgeschoss und finanzielle Belastung bei einem zu großen Angebot an Gewerbeflächen, die anderen sehen Potenzial für die „Renaissance einer neuen urbanen Lebenskultur“. Ähnlich bei der sozialen Infrastruktur: Wo die einen Gemeinschaftsräume als notwendige Ergänzung zum privaten Wohnen und als Orte des kommunikativen Austausches sehen, betrachten die anderen sie bloß als Orte für potenzielle Konflikte und V Foto: wohnbund:consult 1 bezweifeln sogar die Nachfrage. Kurz: Bauträger fürchten eine Überfrachtung des Wohnbausektors mit Ansprüchen, die den engen Kostenrahmen sprengen und die eigenen Vergabe- und Verwaltungsstrukturen überfordern könnten. Politik und Stadtplanung möchten möglichst viel leistbaren Wohnbau mit möglichst hohen urbanen Qualitäten sichern. Wie lassen sich diese gegensätzlichen Positionen und Ansprüche auf ein gemeinsames Fundament von ‚Mehr als Wohnen‘ stellen?

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Vom Bauplatz zum Quartier

Die Erfahrungen der jüngsten Stadtentwicklungsgebiete zeigen, dass sowohl die Handlungsebene des Bauplatzes als auch jene des gesamten Quartiers eine wesentliche Rolle zum Erreichen dieser Ziele spielen. Durch den Einsatz spezieller Typologien auf einem oder mehreren Bauplätzen, lässt sich das Engagement der künftigen Nutzer fördern – eine wesentliche Voraussetzung für qualitätsvolles, sozial integratives Stadtleben. Multifunktionale Quartiershäuser oder Wohnformen mit einem speziellen Zielgruppenfokus, wie gemeinschaftliches Wohnen, können – sozial nachhaltig – dazu beitragen, einen Mehrwert für das Quartier zu erzielen. Über Gewerbeflächen hinaus bieten sie niederschwellig zugängliche Räume für die Nachbarschaft, die auch in hohem Maß selbstorganisiert verwaltet werden.

So entstand beispielsweise im Projekt „global park“ in Simmering neben einem Kinderspielraum und einem Waschsalon auch ein multifunktionaler, über 300 Quadratmeter großer Veranstaltungsraum mit Küche und Bewegungsraum, der für Aus stellungen, Bewohner- und Quartiersfeste, Symposien, Theateraufführungen, Sportkurse und eine Kochgruppe genutzt wird. Die Räume werden von einer Bewohnergruppe verwaltet, ein „Handbuch zur Nutzung der Gemeinschaftsräume“ sichert den Informationsfluss langfristig. Auch im „Wohn_Zimmer“ im Favoritner Sonnwendviertel, mit knapp 450 Wohneinheiten, gibt es eine Vielfalt von Gemeinschaftseinrichtungen: Indoor-Kinderspielplatz, Heimkino und Theater- und Musikproberaum stehen den Bewohnerinnen und Bewohnern über ein eigens entwickeltes Buchungssystem und eine Zutrittskarte zur Verfügung. Ein über 1.000 Quadratmeter großes Schwimmbad mit Wellnesscenter samt Sauna und Nebeneinrichtungen ist auch für die Öffentlichkeit zugängig.

In den vergangenen Jahren gewinnen insbesondere bei der Entwicklung größerer Stadtquartiere wie Neu Leopoldau oder „In der Wiesen“ mit jeweils mehreren hundert Wohneinheiten, quartiersübergreifende Konzepte an Bedeutung. Beim Stadtteil „In der Wiesen Süd“ im Süden Wiens, mit etwa 600 Wohnungen, stehen der Bewohnerschaft neben Sauna, Fitness- und Bewegungsräumen ein Kleinkinder- und Kinderspielraum, eine Werkstatt oder eine Gemeinschaftsküche zur Verfügung. Nutzung und Ausstattung werden von Bewohnergruppen mit externer Unterstützung organisiert und die Kosten für die Räume, prozentuell nach Nutzfläche der einzelnen Bauplätze, verteilt getragen.

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Räume des sozialen Lebens

Angebote vielfältiger sozialer Infrastruktur stellen in Zeiten kleiner werdender individueller Wohnflächen nicht nur einen wesentlichen Beitrag zur Deckung der erweiterten Wohnbedürfnisse dar. Ist es in einer SMART-Wohnung kaum mehr möglich, eine größere Feier bei sich zu Hause zu veranstalten, so bieten gemeinschaftlich nutzbare Räume hier Kompensationsmöglichkeiten, die auch soziale Teilhabe sicherstellen können: „Unsere Gemeinschaftsräume sind ein Ort der Begegnung und der gemeinschaftlichen Aktivitäten und die Basis dafür, unsere Gemeinschaft leben zu können“, so ein engagierter Bewohner des Projekts „global park“. Darüber hinaus eröffnen sie Möglichkeiten jenseits kommerzieller Angebote, die nahe am Wohnort die Identifikation mit dem eigenen Quartier stärken und spezifisch auf individuelle Bedürfnisse eingehen können.

Eine hohe Qualität und gute Lage ist dabei wesentlich, wie eine Bewohnerin des Projekts PaN-Wohnpark am Nordbahnhofgelände betont: „Nicht zu unterschätzen ist, dass Frei- und Gemeinschaftsräume auch ‚gut geplant‘ sein müssen. Eine ansprechende Gestaltung, großzügige Fensterflächen und Raumhöhen, (…) bieten die optimale Voraussetzung.“ Dass die Aneignung und tägliche Nutzung der Gemeinschaftsflächen Reibungen versursacht, liegt auf der Hand. Gerade in dieser Auseinandersetzung der Bewohner untereinander und der Diskussion unterschiedlicher Vorstellungen und Bedürfnisse liegt aber auch großes Potenzial für eine lebendige Hausgemeinschaft, wie der Sprecher des Projekts Wohnen für Fortgeschrittene in Ottakring meint: „Die Qualität einer Hausgemeinschaft wächst anhand der Auseinandersetzungen über die Nutzung der gemeinsamen Flächen, speziell der Gemeinschaftsräume.“

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