Mit Philosophie in die digitale Zukunft – Anders Indset: CEOs, Geschäftsführer und auch Politiker müssen nicht schneller denken – sie brauchen im Gegenteil mehr Zeit zum Nachdenken

In scheinbar immer kürzeren Abständen rollt die nächste Innovationswelle über uns, immer schneller scheint sich das Technologierad zu drehen. Entscheider müssen diesen Takt halten oder lernen, Geschwindigkeit aufzunehmen in der Ära des digitalen Wandels. Anders Indset, Wirtschaftsphilosoph und aufgrund seiner Vorträge oft als „Rock’n’Roll Plato“ bezeichnet, sieht unsere Zukunft und das, was Entscheider dabei leisten sollten, differenzierter. Im Interview mit Kai Heddergott macht er deutlich: (Nach-)Denken und Philosophie sollten im Mittelpunkt von Entscheidungsprozessen stehen.

Herr Indset, alles spricht von der „Digitalen Transformation“. Das hört sich ja so an, als ob wir nach deren Bewältigung und dem dazugehörenden Veränderungsprozess an einen erstrebenswerten Punkt gelangen könnten. Ist das tatsächlich so – und worauf sollten Entscheider bei der Gestaltung der Digitalisierung achten?
Anders Indset: Ich persönlich kann mit dem Begriff der „Digitalen Transformation“ nichts anfangen. Was transformieren wir wohin, was soll am Ende der Transformation erreicht sein? Der Begriff legt nämlich tatsächlich nahe, dass wir wüssten, welcher Zustand „danach“ erstrebenswert wäre.

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Wir sollten den Blick lieber darauf lenken, wie wir mit permanent neuen Anforderungen an neue Gegebenheiten zurechtkommen. Der schnelle, digitale Takt, also die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft mit einer höheren Geschwindigkeit als bei früheren Veränderungsprozessen, macht ein neues Denken bei Entscheidern nötig. Tatsächlich müssen CEOs, Geschäftsführer und auch Politiker nicht schneller denken – sie brauchen im Gegenteil mehr Zeit zum Nachdenken. Denn neben spannenden und wegweisenden technologischen Innovationen wird es künftig auf interdisziplinär arbeitende und vor allem denkende Entscheider ankommen. In einer Zeit, in der immer mehr durch Algorithmen und Maschinen mitbestimmt wird, brauchen wir eine Renaissance der Denker.

Wenn wir nur auf die exponentiell voranschreitende technologische Entwicklung reagieren, werden wir am Ende von maschinellen Superintelligenzen manipuliert. So vielversprechend künstliche Intelligenz, Deep Leaning und Co. für die Automatisierung von Prozessen und Arbeitsabläufen auch scheinen mögen: Wir müssen aufpassen, dass wir bei diesem Kampf mit den Algorithmen nicht auf der Strecke bleiben. Und wir müssen unser ökonomisches Betriebssystem baldmöglichst anpassen.

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Das hört sich so an, als ob das klassische Manager-Wissen und das bisherige ökonomische Handwerkszeug ausgedient haben oder aber erweitert werden sollten. Müssen wir den Werkzeugkasten von Entscheidern neu bestücken?
Anders Indset: Wir brauchen vor allem eine neue Sichtweise und ein neues Denken. Bislang sind wir in vielen Fällen Dopamin-gesteuerte Zombies, die eher reagieren als gestalten. Da die Zukunft aber nicht so linear verlaufen wird, wie uns der technologische Fortschritt suggeriert, sollten wir uns an Denkmodellen orientieren, die mit unsicheren oder unscharfen, bisweilen sogar chaotischen Zuständen zurechtkommen. Wir können da von der Quantenmechanik lernen, die genau das tut – ich spreche daher bei der Betrachtung der ökonomischen Zukunft auch von einer Quantenwirtschaft.

Und ich bin der Meinung, dass uns eine Rückbesinnung auf die klassische Philosophie weiterhelfen wird. Reflexionsfähigkeit wird eine der wichtigsten Eigenschaften von erfolgreichen Unternehmern oder Entscheidern werden. Solche kreativen Köpfe oder Konzerngründer und -lenker wie Bill Gates nehmen sich in der Tat viel Zeit zum Nachdenken und Lesen. Sie nehmen sich die nötige Zeit, Dinge infrage zu stellen. Diese Denkpausen vom sonstigen schnellen Entscheiderhandeln in digitalen Zeiten sind auch wichtig für eine geistige Erholung. Nicht umsonst ist so etwas wie Resilienz als zentrales Thema in der Arbeitswelt entdeckt worden.

Es geht darum, ein anderes Bewusstsein zu entwickeln. Wir haben derzeit so viele physisch fitte CEOs wie nie zuvor – die achten einfach mehr auf ihre körperliche Gesundheit. Dazu müssen sich aber tiefe Kniebeugen für die Rübe gesellen. Die Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen auch klassischer Philosophen hilft dabei. Dazu gehört auch die Klärung der Frage: Wie funktioniert Denken? Es geht darum zu erörtern, welche Denkmodelle sowohl Innovationsfähigkeit, wirtschaftliche Entwicklung als auch das Fortkommen unserer Gesellschaft sichern helfen…

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